Leiser Abschied vom gewohnten Messeleben

Foto: Bolognafiera

Die „Cersaie“, seit 37 Jahren der wichtigste internationale Branchentreff für die Welt der Keramik und Badezimmerausstattung, sucht nach neuen Anziehungspunkten. Aber es lässt sich nicht verkennen: Sie ist in die Jahre gekommen. Bereits in den vergangenen Jahren deuteten sich gewisse Ermüdungserscheinungen für das jährlich auf dem Messegelände im norditalienischen Bologna veranstaltete Mega-Messeevent in Sachen Gestalten und Bauen mit keramischen Fliesen an. So richtig wahr haben wollte das indes niemand, schon gar nicht der Verband der italienischen Fliesenhersteller Confindustria Ceramica, immerhin galt für dessen Funktionäre diese Messe als prestigeträchtige Selbstdarstellung. Doch die absoluten Glanzzeiten sind längst vorbei. Und das nicht nur, weil aktuell in weiten Kreisen der einschlägigen Branche hinter vorgehaltener Hand darüber spekuliert wird, ob die für den 28. 9. bis 2. 10. 2020 terminierte Veranstaltung angesichts der womöglich noch nicht ausgestandenen Folgen der Virus-Pandemie überhaupt stattfinden wird. Unverdrossen verkünden die Veranstalter, dass die Vorbereitungen zur Fachmesse angelaufen sind, und dass sie wie jedes Jahr zu dieser Zeit bereits ausgebuchte Ausstellerflächen verzeichnen. Doch das ergab sich inzwischen als ziemlich voreilig. Denn just gibt es einen neue Termin für die Cersaie 2020 und ein neues Format soll für mehr Sicherheit, Attraktivität und Internationalität. Die Cersaie wird vom 9. bis zum 13. November in den Hallen auf dem Messegelände in Bologna veranstaltet.

Doch das ändert nichts an der Wirklichkeit einer grassierenden Messemüdigkeit. Denn sowohl die Verbandsfunktionäre ebenso wie die Messegesellschaft von Bologna haben sich in die Reihen derjenigen Messeveranstaltungen eingereiht, denen wegen zunehmender Einfallslosigkeit die Begeisterung potentieller Besucher abhandengekommen ist. Aber nicht nur die Veranstalter, auch die Aussteller, vornehmlich jene einige hundert Fliesenproduzenten, denen die Messe ja ursprünglich als Plattform dienen sollte, haben ihren Beitrag dazu geleistet. Die von Jahr zu Jahr gesteigerte Langeweile dank Eintönigkeit, Einfallslosigkeit und Gleichmacherei der immerhin zuhauf präsentierten Produkte locken heute kaum noch jemanden hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervor. Die Zeiten einer Trendmesse sind lange vorbei und nur für Smalltalk dürfte für die schon seit Jahren unter Kostendruck stehenden Fliesenhersteller ein solches aufwändiges Event auf Dauer zu teuer sein.

Einen richtigen Weckruf haben die Verantwortlichen bisher tunlichst überhört. Der Stolz auf 37 Jahre Messegeschichte verhindert das wohl. Aber immerhin scheint man zu spüren, dass etwas im Argen ist und der Sturm auf die Ausstellungsflächen langsam versiegt. Bereits vor einigen Jahren hatte man deshalb mit Keramik fremden Produkten wie Parkett oder Kunststoff-Bodenlägen neue Akzente setzen wollen. Jetzt startet Confindustria Ceramica einen neuen Angriff, in dem man die ursprünglich spezialisierte Messe zu einem Gemischtwarenladen macht. So sollen künftig auch Küchen, Kamine und Einrichtungssysteme zu finden sein. Der Bereich Innen- und Außenausbau soll mit Türen und Fenstern, Zubehör für Innenausstattung, Vorhänge und Wohnaccessoires vertreten sein. Locken will man aber auch Hersteller von Pavillons, Außenstrukturen und Möbel für Außenbereiche.

Abgesehen von der Tatsache, dass man sich so mit der wenige Wochen später in Bologna geplanten allgemeinen Baumesse „SAIE“, von der man sich vor 37 Jahren zwecks Spezialisierung mit der Vorsilbe „CER“ (= CERamica) abgespalten hatte, in Wettbewerb begibt, dürfte das Buhlen um neue Zielgruppen mit neuen Inhalten für eine so traditionsbelastete Messe wie die Cersaie in der heutigen Wirtschafts-Landschaft wenig zeitgemäß sein.

Denn „neuer Wein in alten Schläuchen“ dürfte wohl kaum ein probates Marketingkonzept sein. Das wussten sogar schon die Jünger Jesu im Neuen Testament. Wobei: Der italienische Fliesen-Herstellerverband und die Messegesellschaft Bolognafiera sind diesbezüglich keineswegs allein. Viele andere Messeveranstalter, das hat die Vergangenheit gelehrt, müssten sich dringend um „neue Schläuche“, sprich zeitgemäße und intelligentere Messekonzepte, kümmern.

Zwei deutsche langjährige Aussteller haben inzwischen in Bologna Zeichen gesetzt. So wandte sich bereits 2019 die Steuler-Gruppe neuen Messe-Konzepten zu. In diesem Jahr schließt sich die Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG mit ihrer Marke Agrob Buchtal dem Auszug aus Bologna an. Aber auch andere führende Fliesenhersteller sind Cersaie-müde geworden.

Womöglich ist dies ein Signal auch für andere Anbieter, neue Denkübungen in Sachen Messepolitik anzustellen. Den aktuellen wirtschaftlichen Lockdown und seine Folgen könnte man da womöglich als treibende Kraft sehen. So scheint es gar nicht einmal so abwegig, darüber zu spekulieren, dass viele der jetzt wegen der Pandemie reihenweise abgesagten und verschobenen Messeveranstaltungen für immer in der Schublade bleiben könnten, weil potentielle Aussteller fest stellen: Eigentlich haben wir sie gar nicht vermisst. Um das zu verhindern, bedarf es grundlegenden Anstrengungen der Messeveranstalter, deren Inhalte mit intelligenten Inhalten aufzupeppen. Denn so interessant (und im Vergleich kostengünstig) digitale Präsentationen sein können, das analoge Anfassen und Begutachten ist bei einer Produktauswahl auch in einer digitalen Welt immer noch unverzichtbar.ªèÿÌ€

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