Messe-Online als Münchener Antwort auf Absage

Foto: StudioLoske

6.10.2020
Zuletzt war es eigentlich keine große Überraschung mehr. Der sommerliche Optimismus im Juni 2020 der Veranstalter der Münchener Baufachmesse BAU 2021 angesichts rückläufiger Corona-Infektionszahlen hatte eine allzu kurze Halbwertzeit. Bereits drei Monate später mochte kaum einer der Insider der Baubranche auf die Durchführung einer Präsenzmesse im Januar 2021 auf dem Münchener Messegelände wetten. Die Stornierungen bereits gebuchter Ausstellungsflächen häuften sich. Inzwischen verschwanden ganze Branchen wie die Bauchemie-Hersteller von der vorläufigen Ausstellerliste. Und als dann auch noch das zweite Mega-Messeevent des Frühjahrs, die ISH 2021 in Frankfurt, jahrzehntelang wie die BAU unverzichtbar in der deutschen und internationalen Messe-Szene, die Segel strich, dürften auch in der Vorstandsetage der Münchener Messegesellschaft und in den Veranstaltergremien wie Fachbeirat und Kuratorium die dunklen Wolken des Corona-Pessimismus unübersehbar geworden sein.

"Sinkende Infektionszahlen und Grenzöffnungen gaben im Juni die berechtige Hoffnung auf eine deutliche Besserung der Situation"
Dr. Reinhard Pfeiffer, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München

Zwar wurde stets mit Nachdruck betont, es sei ein Hygienekonzept erarbeitet und von offizieller Stelle abgesegnet worden. Doch die Vorfreude der verbliebenen Aussteller auf ein unbeschwertes Messeerlebnis ging ebenso gegen Null wie die Erwartungen der Veranstalter auf einen ungebremsten Besucherstrom für eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz. Eine Messe, die die gesamte Baulandschaft widerspiegeln soll, kann nun mal keine selektive Veranstaltung mit abgezählten Besucherzutritten sein. Und wer die BAU in der Vergangenheit erlebt hat, weiß: Zumindest in Teilbereichen ist ihr ein gewisser (mit Informationen versetzter) Volksfest-Charakter nicht abzusprechen. Das gilt im Übrigen auch für andere Messe-Events wie die Frankfurter ISH und sogar die Branchenmesse Cersaie in Bologna.

Allein die Vorstellung, eine Nummer ziehen zu müssen, um mit welchen Informationswünschen auch immer vorgelassen zu werden, sorgt fürs Aufrichten der Nackenhaare eines jeden Messeplaners. In Hygiene-Konzepten gern genommen wird auch die Einbahnstraßen-Regelung. Und selbst Meter breite Gänge mit durchgehendem Mittelstreifen, um die vielleicht möglichen Besucherströme sich nicht vermischen zu lassen, wirken kaum verlockend.

Wohlwissend, dass selbst das raffinierteste Hygienekonzept nicht mehr als eine Alibi-Funktion hat, dessen Durchsetzung eine kaum bezahlbare Heerschar von Aufsichtspersonal erfordern würde, und der Sorge, dass die witterungsbedingt möglicherweise wieder ansteigenden Infektionszahlen auf einem etwa 200 000 Quadratmeter großen Messegelände kaum beherrschbar sein würde, wurde Ende September auch in München die Reißleine gezogen. Die lapidare Quintessenz der entscheidenden Sitzung: „Corona bedingt wird die BAU 2021 als klassische Präsenzmesse nicht stattfinden“.

Die verbliebenen Teilnahme willigen Aussteller dürfte die Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt freuen, können sie doch ihre Messepläne wieder investitionslos in die Schublade legen. Die vielen Messebauer und Agenturen hingegen eher nicht, denn für sie bleiben lange Gesichter angesichts des neuerlichen Umsatz-Ausfalls, nicht das erste Mal in den Monaten der Pandemie. Aber die Münchener Messegesellschaft wäre kein typisches bayerisches Unternehmen, wenn man sich kein Hintertürchen offengehalten hätte. Und diese Tür sollteHybridheißen. In der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde der Begriff aus der automobilen Szene, wo es getreu der wörtlichen Übersetzung des aus dem Griechischen stammenden Wortes „hybris“ um die „Vermischung“ zweier Technologien geht. Das wollte man sich jetzt in München zu eigen machen und digitale Informationsangebote mit Präsenz vermischen.

"Wir unterstützen die Entscheidung, die BAU 2021 nicht als Präsenzveranstaltung, sondern in digitaler Form durchzuführen"
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe

So sollte das von den Münchenern ausgedachte Format neben einer kompakten Ausstellungsfläche ein digitales Zusatzangebot vor allem für die Aussteller und Besucher umfassen, die aufgrund der Reisebeschränkungen nicht nach München kommen können. In dem dem Messegelände angeschlossenen ICM Internationales Congress Center München sowie in bis zu zwei Messehallen sollten sich Austeller präsentieren, aber auch Foren und Sonderschauen umgesetzt werden können. Unternehmen, die sich vor Ort präsentieren wollen, hätten so die Wahl zwischen kompakten Systemständen und einer individuellen Standgestaltung. Bei der bislang festzustellenden Reaktion potenzieller Aussteller blieb die Begeisterung für eine solche eher fragwürdige Notlösung weitgehend aus. Das bestätigte jetzt auch das Ergebnis einer Umfrage unter potenziellen Ausstellern. Danach hätte eine deutliche Mehrheit angegeben, sich auf das reine Digitalkonzept konzentrieren zu wollen.

Für die Veranstalter Grund genug, den wenig verlockenden Begriff „Hybrid“ von der Agenda zu streichen und sich auf ein digitales Format zu fokussieren beziehungsweise zu beschränken. Alle Ressourcen sollen jetzt auf digitale Präsentationsmöglichkeiten und ein digitales Rahmenprogramm gebündelt werden und vom 13. bis 15. Januar die Überschrift „BAU Online“ bekommen. Das Prozedere ist nach sechs Monaten Pandemie inzwischen den meisten geläufig: Vorträge und Diskussionen aus den Foren werden als Live-Stream sowie als aufgezeichnete Videos für ein globales Publikum angeboten. Darüber hinaus sollen Unternehmen die Möglichkeit bekommen, ihre Produkte virtuell in eigenen Online-Sessions zu präsentieren.

Ob dies allerdings der Königsweg aus der Pandemie bedingten Veranstaltungsmisere ist, wird sich erst noch zeigen. Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer Bund Deutscher Architekten BDA zumindest sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Einerseits freue sich der BDA auf alternative digitale Formate, gibt aber zu bedenken, dass langfristig die BAU als eine Plattform zur persönlichen Begegnung und zum haptischen Erfahren von Produkten notwendig sein werde. An einer Präsenz-Messe werde nicht gerüttelt, versprach denn auch Martin Hörmann, der stellv. Vorsitzende von Fachbeirat und Kuratorium: 2023 werde die BAU wieder wie gewohnt stattfinden, inklusive der digitalen Angebote, die im kommenden Januar erstmals umgesetzt werden. Wenn alles also wie erhofft läuft, darf sich 2023 das Bau-Volk wieder durch die Münchener Messehallen drängeln

Die BAU, Weltleitmesse für Architektur, Materialien und Systeme, ist seit vielen Jahren die größte und angesehenste Veranstaltung der Baubranche.
Zuletzt, im Januar 2019, präsentierte die Messe auf 200.000 m² Fläche - das Gelände ist seit Jahren komplett ausgebucht - Architektur, Materialien und Systeme für den Wirtschafts-, Wohnungs- und Innenausbau im Neubau und im Bestand.
Die BAU führt alle zwei Jahre die Marktführer der Branche zu dieser Gewerke übergreifenden Leistungsschau zusammen. Das Angebot ist nach Baustoffen sowie nach Produkt- und Themenbereichen gegliedert. Sie spricht alle an, die mit der Planung, sowie mit dem Bau und dem Betrieb von Gebäuden aller Art zu tun haben. Sie gilt als die weltgrößte Fachmesse für Architekten und Ingenieure.
Pandemie bedingt gibt es 2021 eine Zäsur. Am zwei-Jahres-Turnus soll aber auf keinen Fall gerüttelt werden.
Details zu dem neuen, aus Sicht der Veranstalter temporären Format sowie Informationen zu den Teilnahmemöglichkeiten für Aussteller und Besucher stehen voraussichtlich ab Mitte Oktober online unter www.bau-muenchen.com zur Verfügung.

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