Das „Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design“ ist nicht das einzige architektonische Leuchtturm-Projekt, das sich Olso in den letzten Jahren gegönnt hat. Mindestens ebenso spektakulär ist die neue Bibliothek, die so genannte „Deichmanske Bjørvika“, benannt nach dem Fabrikbesitzer und Kanzleirat Carl Deichman, der seine Bibliothek mit ungefähr 6 000 Bänden und 2 000 Riksdaler als Kapital 1780 der Bevölkerung Christianias, wie Oslo damals hieß, vermachte. 2020 wurde die neue Hauptfiliale im Stadtteil Bjørvika nach dem Entwurf der norwegischen Architekturbüros Lund Hagem Arkitekter und Atelier Oslo eröffnet, die als eine der modernsten Bibliotheken Europas gilt.
Die Architektur der Bibliothek ist eng mit ihrer Rolle als öffentliches Gebäude verbunden. Die obersten Etagen strecken sich weit über den Rest des Gebäudes heraus. Einschnitte in der Fassade markieren die Eingänge, die im Osten, Westen und Norden die Leute aus allenSeiten der Stadt willkommen heißen. Diagonale Lichtschächte verlaufen quer durch das Gebäude und schaffen so fließende Übergänge zwischen Innen und Außen. Die schräge Vorderseite der Bibliothek leitet den Blick weiter zum nahegelegenen Opernhaus, mit dem das Gebäude harmoniert. Nach Einbruch der Dunkelheit spiegelt das Gebäude all die unterschiedlichen innen stattfindenden Aktivitäten und Veranstaltungen wider, indem es leuchtet und sein Aussehen verändert.
Wir wollten ein Gebäude schaffen, das zu seiner Umgebung passt und das Interesse für die Bibliothek weckt“
Einar Hagem, Architekt
Von außen betrachtet sind vor allem die schräge Vorderseite und gläserne Fassade der Bibliotek Deichman auffallend. Wirklich herausragend ist jedoch, dass das Gebäude mit einer Einsparung von 50 Prozent an Emissionen gegenüber ähnlichen Gebäuden einem Passivhausstandard entspricht. Dies gelang mit Hilfe einer innovativer Fassadenkonstruktion, neuartiger Belüftungssysteme und Meerwasserkühlung sowie der Anwendung von Recyclingmaterialien. Der Nachhaltigkeitsgedanke reicht bis in die Toilettenräume: WCs sowie elektronisch gesteuerte Urinale garantieren optimierten Wasserverbrauch, Hygiene und kurze Reinigungszeiten.
Zentral gelegen, zwischen dem Osloer Hauptbahnhof und der Oper im Stadtteil Bjørvika lockt Norwegens Bibliothek jährlich Millionen von Besuchern an. Das Gebäude verfügt über sechs Etagen, die von drei Türmen gehalten werden. Dadurch steht das Zentrum des Gebäudes frei und bildet ein Atrium. Der offene Charakter, die länglichen Fassadenfenster und die Lichtschächte sorgen für ein tageslichtdurchflutetes und einladendes Ambiente mit freiem Blick auf den Fjord.
Erschlossen wird die Bibliothek über drei zentrale Eingänge im Osten, Westen und Süden. Im Erdgeschoss wird der Außenraum ins Innere fortgesetzt; so werden die Besucherinnen und Besucher fließend ins Foyer geleitet. Diagonale Lichthöfe, die sich über alle Geschosse erstrecken, belichten die Eingangszonen zusätzlich. Prägend ist der durchgehende zentrale Bibliotheksraum. Die weiteren Bibliotheksräume befinden sich in den oberen Ebenen. Zusätzlich beinhaltet der Bau ein Auditorium, Werkstätten, Lesesäle, ein Kino, Büros und verschiedene Magazine.
In seinem Gesamtkonzept gilt das Haus als einzigartig: Neben dem eigentlichen Ausleihen und Lesen von mehr als 400 000 Büchern werden hier Konzerte, Messen, Workshops, verschiedenste Kurse für alle Altersgruppen angeboten und das ganzjährig.
Wer der Ansicht ist, Bibliotheken sind verstaubt und oldfashend, wird in Oslo eines besseren belehrt. Die Architektur der Bibliotek Deichman ist einladend und weltoffen. Der Nachhaltigkeitsgedanke reicht bis in die Toilettenräume mit WCs sowie elektronisch gesteuerten Urinalen.
Schriftstücke für die Nachwelt
Wer das Nationalmuseum in Oslo besucht hat oder auch nur darüber gelesen hat, kommt nicht an der Erkenntnis vorbei, dass der Begriff Museum neu gedacht werden muss. Das liegt allerdings weniger an der latenten Diskussion über die Zukunft des gedruckten Buches oder der Digitalisierung. „Print ist tot“ war lange Zeit das Schlagwort, mit dem die Lobby der Internet-Publizistik oder des eBooks die Verfechter des gedruckten Wortes von der Endlichkeit des Buchdrucks in Kenntnis setzen wollten. Nicht gegen eBooks oder Tablet-Bildschirme mit literarischen Darbietungen, aber gegen den Charme eines Buches kommt die Digitalisierung nicht an. Das macht das Osloer Museum trotz aller moderner Konzeption schnell klar.
Und das auf eine ganz besondere Weise. Denn es birgt ein Geheimnis, das in der Welt der Literaten seit 2014 ziemliches Aufsehen erregt hat. Denn die schottische Künstlerin Katie Paterson ist fest davon überzeugt, dass auch noch in 100 Jahren Bücher zeitgemäß sind. Und gründete die „Future Library“, eine Bibliothek der Zukunft und zugleich so etwas wie Konzeptkunst.
Denn in einem streng verschlossenen Raum des Nationalmuseums werden hundert Jahre lang Manuskripte von Schriftstellern gesammelt, deren Inhalt nur diesen bekannt ist. Zu Büchern sollen sie erst im Jahr 2114 werden, zumal auch erst dann das dafür benötigt Papier bereitsteht.
Denn zum Start ihrer Kunstsession wurde in einem Waldgebiet in der Nähe von Oslo eintausend Fichtensetzlinge gepflanzt, die in hundert Jahren zu den Bäumen heranwachsen sollen, aus denen das Papier für die dann einhundert Bücher gefertigt wird. Jedes Jahr kommt ein weiteres Manuskript in Verwahrung, das jeweils im Mai bei einer Zeremonie im werdenden Wald übergeben und eingeschlossen wird. Der Raum in der neuen Bibliothek wurde übrigens aus jenen Bäumen gebaut, die den 1 000 Fichten weichen mussten. Jetzt hofft Katie Paterson, dass ihr Fichtenwald auch wächst und gedeiht, Klimawandel und Borkenkäfer zu Trotz, nur erleben wird sie es ebenso wenig wie alle, die heute an diesem Projekt beteiligt sind. Und an alle, die heute auf digitalen Lesestoff setzen: Niemand weiß, ob in hundert Jahren ein eBook überhaupt noch gelesen werden kann. Fotos: Einar Aslaksen
Die „Deichmanske bibliotek“ (https://deichman.no/bibliotekene/) gehört zu den ältesten öffentlichen Bibliotheken Norwegens und ist die größte öffentliche Bibliothek des Landes. Sie ist heute die Stadtbibliothek von Oslo. Im Jahre 1780 vermachte der Fabrikbesitzer und Kanzleirat Carl Deichman seine Bibliothek mit ungefähr 6 000 Bänden und 2 000 Riksdaler als Kapital der Bevölkerung Christianias, wie Oslo damals hieß. Die Bibliothek wurde am 12. Januar 1785 eröffnet. 235 Jahre Später wurde die neue Filiale ebenfalls im Stadtteil Bjørvika eröffnet. Geplant wurde sie von Lund Hagem Arkitekter (https://lundhagem.no/) und Atelier Oslo (https://www.atelieroslo.no/). Die Toilettenräume mit WCs sowie elektronisch gesteuerte Urinalen des deutschen Herstellers Duravit AG (https://www.duravit.de/)